Summary
In müßigen Stunden habe ich diese Mythen und Legenden aufgezeichnet, am Lagerfeuer, während der Fahrt im schwankenden Kahn, wenn wir auf ruhigen Flußstrecken die Zelttücher als Segel benutzten, auf den von brausenden Wogen umspülten Felsen der Katarakte, unter den rauschenden Wipfeln der Urwaldbaume.
Die Erzähler waren zwei treue Indianer, Monate lang meine Genossen in Freud und Leid, deren Inneres wie ein offenes Buch vor mir lag. Möseuaípu hieß der eine, ein junger Zauberarzt vom Stamme der Arekunà, klug und lebhaft wie Akũli, das flinke Nagetier, von dem er seinen Spitznamen trug, erfolgreich auf Jagd und Fischfang und in der Liebe. Sein Schauspielertalent, seine Erzählerkunst haben uns manche trübe Stunde erheitert. Der andere war Mayũluaípu, genannt José, ein sehr intelligenter, etwa 28 Jahre alter Taulipàng-Indianer, Sohn des berühmtesten Sagenerzählers seiner Heimat am oberen Majarý. Er hatte mehrere Jahre unter den Weißen gelebt und beherrschte die portugiesische Sprache, war aber in seinem ganzen Denken und in seinen Anschauungen ein echter Indianer geblieben, was während der Reise öfters stark zum Ausdruck kam. Vom Christentum war er ganz unbeeinflußt.
Als Übersetzer war er mir von unschätzbarem Wert, zumal Akũli kein Wort portugiesisch sprach. Mayũluaípu erzählte mir die Mythen zunächst in portugiesischer Sprache, und ich übersetzte sie dann wortgetreu in das Deutsche. Eine Reihe von Sagen diktierte er mir sodann im Urtext und half mir bei der genauen Übersetzung. Wie eng er sich in der portugiesischen Erzählung an den indianischen Text Melt, geht aus einem Vergleich zwischen beiden Niederschriften, die zum Teil Wochen auseinander liegen, hervor.
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- Vom Roroima zum OrinocoErgebnisse einer Reise in Nordbrasilien und Venezuela in den Jahren 1911–1913, pp. v - viPublisher: Cambridge University PressPrint publication year: 2009First published in: 1916