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Soziale Normen

Published online by Cambridge University Press:  28 July 2009

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Die Normgebundenheit des sozialen Verhaltens ist eine einfache, ja triviale Alltagserfahrung : wir geraten ständig an Kreuzungen, die mit grünen und roten Signalen versehen sind, — in soziale Situationen, die offenbar bereits von anderen entdeckt, fixiert, vorgeformt sind. Es steht uns nicht frei, diese Vorgeformtheit, diese Besetzung von Situationen mit positiv und negativ bewerteten Alternativlösungen ohne weiteres zu ignorieren. Wenn wir uns um die grünen und roten Lichter nicht scheren, wird unser Verhalten dennoch von anderen als eine Antwort auf diese Signale interpretiert, — auch wenn es gar nicht in unserer Absicht lag, uns eine Frage stellen zu lassen. So können wir in einer ersten Annäherung sagen : die Normgebundenheit sozialen Verhaltens bedeutet, daΒ soziale Situationen mit bestimmten Alternativen belastet sind, die auf irgendwelchen Verabredungen zu beruhen scheinen; Verabredungen, von denen man nicht recht weiΒ, wer sie eigentlich getroffen hat; Verabredungen, die wir nicht aus der Welt schaffen, wenn wir sie von Fall zu Fall nicht akzeptieren. Sie sind irgendwie so auf Dauerhaftigkeit angelegt, daΒ sie vom Einzelnen nicht beliebig auΒer Kraft gesetzt werden können.

Type
Research Article
Copyright
Copyright © Archives Européenes de Sociology 1961

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References

* Ich lege hiermit meine Antrittsvorlesung an der Universität Basel, gehaltern am 15. November 1960, in unveränderter Form vor. Sie setzt, dem Anlaß entsprechend, keine soziologischen Vorkenntnisse voraus. Mein Ziel war es, wie im Text formuliert, »unter dem Vielen, was uns im sozialen Leben selbstverständlich erscheint, einige derjenigen Selbstverständlichkeiten darzustellen, die es wirklich. sind«. Die hinzugefügten Anmerkungen geben einige weiterführende Hinweise.

(1) Zur Frage der Universalität des Inzest-Tabus vgl. Murdock, George Peter, Social Structure (New York, 1949), S. 284 ffGoogle Scholar. Murdock gelangt zu einigen bemerkenswert klaren und eindeutigen Verallgemeinerungen, die aber auf einem begrenzten Material beruhen. Gegenbeispiele gegen die Thesen Murdocks finden sich z.B. bei Thurnwald, Richard, Die menschliche Gesellschaft in ihren ethno-soziologischen Grundlagen, Bd. 11 (Berlin und Leipzig, 1932), S. 162 f.Google Scholar

(2) Herodot, , III, 38Google Scholar, zitiert in der Übersetzung von J. Chr. F. Bähr (Berlin o.J.) Herodot mißversteht offensichtlich den Sinn des nomos-Begriffs bei Pindar. — Zum sog. Endokannibalismus vgl. Herodot, I, 216 und III, 99.

(3) Die Bedeutung der Voraussehbarkeit sozialen Handelns betont insbes. Theodor Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, in Acta Jutlandica XIX, 2 (Aarhus und Kopenhagen, 1947), S. 14 f, 57 f.Google Scholar

(4) Die Gleichheit bezw. Vergleichbar-keit von sozialen Situationen ist also nicht, wie gelegentlich unterstellt wird, eine methodische Fiktion des Soziologen, der soziale Ordnungen interpretiert; sondern eine Abstraktionsleistung, die stets vollzogen werden muß, wo Menschen ihr Handeln in verbindlicher Form voraussehbar machen. Soziale Ordnungen beruhen auf Abstraktionsleistungen dieser Art.

(5) Linton, R., The Study of Man (New York, 1936)Google Scholar. Neue Gesichtspunkte entwickelt: Dahrendorf, Ralf, Homo Sociologicus, Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle (Köln und Opladen, 1959) Dort auch weitere Literatur.Google Scholar

(6) Vgl. hierzu Merton, Robert K., Bureaucratic Structure and Personality, in Social Theory and Social Structure2 (Glencoe, 1957)Google Scholar und Newcomb, Theodore M., Sozialpsychologie (Meisenheim am Glan, 1959), S. 211 f.Google Scholar

(7) Leider hat sich eine einheitliche Terminologie und Klassifikation sozialer Gebilde noch nicht durchgesetzt. Ich gebrauche hier »soziale Einheit« (social unit) als Oberbegriff für soziale Gruppen und Kollektive. — Dabei möchte ich auf das in der Regel angeführte Begriffs-merkmal des »Wir-Bewußtseins«, »Solidaritäts-Empfindens« oder dergl. verzichten. Es genügt m.E., soziale Einheiten als Gefüge aufeinander bezogener sozialer Rollen zu kennzeichnen. Hiermit ist das Verbindende — die Unterscheidung von »innen« und »außen« — bereits zureichend formuliert. Und zwar nicht nur auf Grund der Bezogenheit der sozialen Rollen aufeinander. Vielmehr steckt in jeder sozialen Rolle bereits eine »Zugehörigkeitshypothese«, die »Mitglieder« im Unterschied zu »Nichtmitgliedern« verbindet und die erst die Formulierung partikularer Rechte und Pflichten legitimiert. (Die Zugehörigkeit zu einem Staatsverband, die Zugehörigkeit zu einer Kernfamilie ist in der Formulierung der sozialen Rolle »Staatsbürger«, »Familienvater« mitgesetzt.)

(8) Geiger, Theodor, op. cit. S. 33.Google Scholar

(9) Die Analysen der Reaktionen auf Normbrüche (und auch im weiteren Sinne: der Präventive gegen Normbrüche) gruppieren sich um das Stichwort »soziale Kontrolle«. Einen wichtigen Beitrag zur Theorie der sozialen Kontrolle gibt Homans, George Caspar, The Human Group (New York, 1950)Google Scholar. Dt.: Theorie der sozialen Gruppe (Köln und Opladen, 1960)Google Scholar. (»Die spezifischen Kontrollen, das heißt die zwischen Nichtbefolgung einer Norm durch einen Menschen und den verschiedenen Folgen jener Nichtbefolgung bestehenden Beziehungen, sind nicht mehr und nicht weniger als die alten, diesmal differential betrachteten Beziehungen der gegenseitigen Abhängigkeit.« S. 283).

(10) Dies ist bekanntlich der Grundgedanke der Soziologie Georg Simmels, dem ich mich hier auch in der Formulierung anschließe; vgl. Soziologie4 (Berlin, 1958), S. 5Google Scholar. Über die Mißverständnisse, die mit der Abstempelung der Leistungen Simmels als spezifisch »formaler« Soziologie verbunden sind: Tenbruck, Friedrich H., Simmel, Georg, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, X (1958), 587614.Google Scholar