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Das Kirchenverständnis des Matthäus im Spiegel seiner Gleichnisse*

Published online by Cambridge University Press:  05 February 2009

Jürgen Roloff
Affiliation:
(Falkenstr. 38, D-8520 Erlangen, Germany)

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Dieses Thema bietet Anlaß zum dankbaren Gedenken an Günther Bornkamm. Er war es, der als erster den Nachweis dafür führte, daβ die Ekklesiologie im Matthäusevangelium eine zentrale Stellung einnimmt, ja vielleicht sogar dessen Hauptthema ist. ‘Kein anderes Evangelium ist so wie Matth. vom Kirchengedanken geprägt, für den kirchlichen Gebrauch gestaltet.’ Dieser Satz steht in Bornkamms erstmals 1956 erschienener Studie ‘Enderwartung und Kirche im Matthäusevangelium’.1 In ihr hat Bornkamm auch als erster jenen methodischen Weg beschritten, der es ermöglicht, dem Kirchenverständnis des Evangelisten nachzu-spüren: es ist der Weg der Redaktionsgeschichte. Vor ihm war es lediglich Adolf Schlatter gewesen, der in seinem groβen Matthäus-kommentar einige Hinweise in die gleiche Richtung gegeben hatte, die allerdings wegen der noch fehlenden methodischen Absicherung in der damals noch völlig anderen Forschungslage kaum zur Kenntnis genommen worden waren.

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Copyright © Cambridge University Press 1992

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References

1 Bornkamm, G., ‘Enderwartung und Kirche im Matthäusevangelium’, The Background of the New Testament and Its Eschatology, Studies in Honour of C. H. Dodd (ed. Davies, W. D., Daube, D.; Cambridge: University, 1956) 222–60;Google Scholar zitiert wird im folgenden die erweiterte und ergänzte Fassung in: Bornkamm, G., Barth, G., Held, H.-J., Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium (WMANT 1; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1960)1347,35.Google Scholar

2 Schlatter, A., Der Evangelist Matthäus (Stuttgart: Calwer, 1929)Google Scholar X, stellt programma-tisch fest, in Matthäus rede ein Mann zu uns, ‘der in der palästinischen Kirche lebte. Aus ihr und für sie schrieb er als einer derer, die im Aufbau und in der Leitung der jüdischen Kirche die von Gott ihnen gegebene Pflicht und Gabe erkannten. Somit macht uns der Evangelist nicht nur sich selbst, sondern auch seine Kirche sichtbar.’

3 G. Bornkamm, ‘Enderwartung’, 36.

4 G. Bornkamm, ‘Enderwartung’, 17, 36.

5 Diese Sicht vertreten Nepper-Christensen, u.a. P., Das Matthäusevangelium. Ein judenchristliches Evangelium? (AThD 1; Aarhus: Universitetsforlaget, 1958);Google ScholarStrecker, G., Der Weg der Gerechtigkeit(FRLANT 82; Göttingen: Vandenhoeck, 1962);Google ScholarWalker, R., Die Heilsgeschichte im ersten Evangelium (FRLANT 91; Göttingen: Vandenhoeck, 1967),Google Scholar sowie mit Einschränkungen Trilling, W., Das wahre Israel (StANT 10; 3. Aufl.; Mün-chen: Kösel, 1964).Google Scholar Die Auseinandersetzung mit dem Judentum erscheint dabei durchweg als für den Evangelisten weit dahinten liegendes Relikt vorgegebener judenchristlicher Traditionen.

6 Vgl. hierzu die sorgfältige Argumentation bei Luz, U., Das Evangelium nach Matthäus 1 (EKK 1/1; Zürich: Benziger/Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1985) 6272.Google Scholar – Manche Verwirrung in dieser Frage dürfte durch eine Unschärfe im Umgang mit den Begriffen ‘heidenchristlich’ und ‘Heidenchristentum’ verursacht worden sein. Es genügt nicht, den Universalismus des Matthäus, seine Bejahung der Heidenmission, als ‘heidenchristlich’ zu etikettieren (so Frankemölle, z.B. H., Jahwebund und Kirche Christi [NTA 10; Münster: Aschendorff, 1974] 141–3.Google Scholar Denn abgesehen davon, daβ diese Begriffe für eine exakte Erfassung der damit gemeinten theologischen Position viel zu pauschal sind, klammert solcher Begriffsgebrauch den ganzen Bereich von Herkunft, Traditionen und gemeind-licher Situation letztlich aus. Was diesen betrifft, ist Matthäus eindeutig judenchristlich. Sicher steht er mit seiner Öffnung für die Heiden an einem Wendepunkt. Aber was ihn zu dieser Öffnung veranlaβt, sind schwerlich ‘heidenchristliche’ Einflüsse und wohl auf keinen Fall eine Begegnung mit paulinischer Theologie. Er gewinnt vielmehr die Impulse dafür aus der Jesusüberlieferung und aus seiner judenchristlichen Tradition.

7 Hummel, R., Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Judentum im Matthäusevangelium(BEvTh 33; München: Kaiser, 1966);Google ScholarDavies, W. D., The Setting of the Sermon on the Mount (Cambridge: University, 1966);Google ScholarBrown, S., ‘The Matthean Community and the Gentile Mission’, NT 22 (1980) 193221.Google Scholar

8 Am weitesten hat sich Schweizer, E., Matthäus und seine Gemeinde (SBS 71; Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 1974),Google Scholar aus dieser Alternative gelöst, wenn er die matthäische Gemeinde als zwar vom Judentum bereits getrennt, aber in einer unmittelbaren Auseinandersetzung mit der Synagoge stehend erkennt (12).

9 Weder, H., Die Gleichnisse Jesu als Metaphern (FRLANT 120; Göttingen: Vanden-hoeck, 1978),Google Scholar initiierte hier einen entscheidenden Durchbruch mit seiner differenzieren-den Sicht sogenannter ‘allegorischer’ Züge in den Gleichnissen: ‘Eine “allegorische” Auslegung des Gleichnisses macht dieses deshalb nicht zur Allegorie, weil sie die Verweisfunktion der Einzelzüge durchaus ihrer Funktion im Ganzen des Erzählgerüsts unterordnet, während in der Allegorie die Verweisfunktion der Einzelzüge ihrem Zusammenhang untereinander übergeordnet ist.’ (75)

10 S. insbesondere den Exkurs ‘Zur matthäischen Gleichnisdeutung’ bei Luz, U., Das Evangelium nach Matthäus 2 (EKK 1/2; Zürich: Benziger/Neukirchen-Vluyn: Neu-kirchener, 1990) 366–75.Google Scholar

11 Zu dieser Bezeichnung s. U. Luz, Matthäus 2, 368.

12 Vgl. hierzu Anm. 9.

13 Gegen die übliche Deutung der ‘Kleinen’ auf die sozial Schwachen, die seelisch Gefährdeten bzw. die Kindischen und Unreifen (so zuletzt wieder Gnilka, J., Das Matthäusevangelium I [HThK 1/1; Freiburg/Basel/Wien: Herder, 1986] 402)Google Scholar steht der eindeutige Sinn von Mk 9.42, wo die – im Gegensatz zu den Charismatikern – unbe-deutenden Christen so bezeichnet sind. Mt 10.41 nimmt diesen Gegensatz verschärfend durch die Gegenüberstellung der ‘Kleinen’ zu den ‘Profeten’ und ‘Gerechten’ auf; vgl. U. Luz, Matthäus 2,152.

14 Diese Wandercharismatiker waren der Träger- und Tradentenkreis von Q gewesen; vgl. Luz, Matthäus 1, 66.

15 So Jeremias, J., Die Gleichnisse Jesu (7. Aufl.; Göttingen: Vandenhoeck, 1965) 31Google Scholar: Matthäus vertrete die ‘Auffassung, daβ das Gleichnis die Umkehrung der Rangordnung am jüngsten Tage illustrieren wolle.’ Ähnlich Gnilka, J., Das Matthäusevangelium 2 (HThK 1/2, Freiburg/Basel/Wien: Herder, 1988) 182Google Scholar: ‘Das göttliche Gericht, das irdische Verhältnisse auf den Kopf stellen kann, steht noch bevor.’ Daneben sei ein zusätzlicher ‘Bezug der Ersten und Letzten auf die Juden und Heiden’ zu vermuten. H. Weder, Gleichnisse, 230, sieht die ‘Gefahr, daβ die Aussage des Gleichnisses völlig vom Kommentar (Mt 20,16a vgl 19,30) vereinnahmt wird.’

16 Den Bezug der ‘Letzten’ auf die μικροί von 18.6, 10, 14 hält auch Schweizer, E., Das Evangelium nach Matthäus (NTD 2; Göttingen: Vandenhoeck, 1973) 258CrossRefGoogle Scholar für wahrschein-lich, allerdings ohne diese mit einer konkreten Gemeindegruppe zu identifizieren.

17 So Schweizer, z.B. E., ‘Matthäus 21–25’, Orientierung an Jesus. Für J. Schmid (ed. Hoffmann, P.; Freiburg/Basel/Wien: Herder, 1973) 364–71Google Scholar: In der Gleichnisgruppe Mt 21.28–22.14 und 22.15–25.46 sei die Abfolge von Schuldspruch gegen Israel (21.32), Straf-zumessung (21.41) und Urteilsvollstreckung (22.7) thematisiert, die sich in 22.15–25.46 wiederhole.

18 Zu dieser von Jes 5 her begriindeten Metaphorik s. J. Jeremias, Gleichnisse, 68; H. Weder, Gleichnisse, 155–6.

19 B, O, f13; eine instruktive Darstellung des komplizierten textkritischen Sachverhalts bietet J. Gnilka, Matthäus 2, 218–19.

20 Sie wird vor allem geboten von א*, C*, K, W, vg.

21 Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece (26. Aufl.; 1979); anders noch E. Nestle, Novum Testamentum Graece (25. Aufl.; 1975).

22 Bereits die Luther-Bibel von 1543 hatte diese Reihenfolge; spätere Revisionen, zuletzt die von 1956, hatten sich jedoch für die zweite Variante entschieden (ebenso übrigens die New English Bible, während die Revised Standard Version die erste Variante bevorzugt). Tolbert, M. A., Perspectives on the Parables (Philadelphia: Fortress, 1979) 74–8Google Scholar, hat auf-grund einer Analyse der Erzählstruktur des Gleichnisses die Ursprünglichkeit dieser ersten Variante wahrscheinlich gemacht, wobei vor allem der Aufweis einer strukturellen Verwandtschaft mit dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner (Lk 18.10–14a) überzeugt.

23 So z.B. H. Weder, Gleichnisse 234. – Als Ausnahmen seien ausdrücklich erwähnt: E. Schweizer, Evangelium, 269–71; J. Gnilka, Matthäus 2, 218–19; Sand, A., Das Evangelium nach Matthäus (RNT, Regensburg: Pustet, 1986) 429–31.Google Scholar

24 Dieser Appell-Charakter kommt in der matthäischen Gleichnisdeutung V. 32 zum Ausdruck. Jesus vergleicht hier seine Verkündigungssituation mit der des Täufers: Die Möglichkeit zum Hören und Gehorchen, die damals den Zöllnern und Sündern eröffnet war, ist jetzt für seine Hörer in gleicher Weise gegeben.

25 J. Gnilka, Matthäus 2, 221: die Parabel ist ‘ein dringender Appell an die Ablehnenden, doch ja zu sagen’.

26 Zur Analyse der Überlieferungsgeschichte vgl. H. Weder, Gleichnisse, 218–30.

27 Vgl. H. Weder, Gleichnisse, 160: Matthäus will, wie aus V. 43 hervorgeht, ‘mit dem Gericht am Volk Israel zugleich das Gericht an der Jüngerschar, am neuen Gottesvolk verkündigen’.

28 Vgl. J. Jeremias, Gleichnisse, 66: ‘So ist bei Matthäus unser Gleichnis durch allegori-sierende Ausdeutung zu einem Abriβ der Heilsgeschichte vom Auftreten der Propheten des Alten Bundes über die Zerstörung Jerusalems bis zum J¨ngsten Gericht ausgestaltet.’

29 Es entsprechen sich: die zweimalige Sendung mehrerer Knechte (VV. 3–4/21.34; die Tötung einzelner Knechte (VV. 6/21.35); die Tötung der Frevler (VV. 7/21.41); die Erwäh-nung des Sohnes (VV. 2/21.37).

30 Die hier vorausgesetzte Gliederung in drei Teile (VV. 1–7, 8–10, 11–14) ergibt sich daraus, daβ mit der in direkter Rede gehaltenen neuen Willenskundgabe des Königs (V. 8) wie auch mit seinem Eintritt in den Festsaal (V. 11) deutliche Zäsuren gesetzt sind.

31 Vor allem die Szene vom hochzeitlichen Festgewand (VV. 11–13) dürfte eine freie Schöpfung des Evangelisten sein, in der er ein geläufiges tauftheologisches bzw. paräneti-sches Motiv (Offb 3.4, 18; 6.11; 7.9,13; 19.14) in narrative Form faβte.

32 W. Harnisch, Die Gleichniserzählungen Jesu (UTB 1343, Göttingen: Vandenhoeck, 1985) 232–3, stellt vom Stilgesetz des Achtergewichts her zwar ‘die Frage, ob der Episode vom unwürdigen Gast nicht vielleicht doch ein gröβeres Gewicht zukommt, als es auf den ersten Blick den Anschein hat’, trägt jedoch in seiner Auslegung m.E. dem Umstand, daβ bereits der zweite Erzählungsteil (VV. 8–10) ganz auf diese Episode hin ausgerichtet ist, zu wenig Rechnung, sodaβ diese letztlich doch wieder, wie bei den meistern Auslegern, als bloβer paränetischer Anhang erscheint.

33 Zum βασιλεία-Verständnis des Matthäus, insbesondere zum Verhältnis von Kirche und βασιλεία s. H. Frankemölle, Jahwebund, 264–72; U. Luz, Matthäus 2, 367–8.

34 Anders dagegen Lk 12.41–2, wo es deutlich um die Typisierung von Trägern gemeindeleitender Dienste geht.

35 Die bei Lukas (Lk 12.48) und vor allem im deuteropaulinischen Bereich (z.B. 1 Tim 3.4–5; Tit 1.7) geläufige ekklesiologische οἶκος-Metaphorik fehlt bei Matthäus völlig.

36 Zutreffend formuliert J. Gnilka, Matthäus 2, 345: ‘Es gibt Menschen, die besondere Verantwortung übertragen bekamen, in der Kirche, aber auch in der Gesellschaft.’ (Im folgenden kehrt Gnilka jedoch, hinter diese Einsicht zurückfallend, zur ekklesiozen-trischen Interpretation zurück).

37 Gnilka, J., Matthäus 2, 353.Google Scholar

38 Matthäus hat ihn planvoll vorbereitet durch die (ebenfalls gegenüber Lukas über-schieβende) Wendung ‘einem jeden nach seiner Kraft’ (V. 15); vgl. H. Weder, Gleichnisse, 196 Anm. 131; E. Schweizer, Evangelium, 307; anders J. Gnilka, Matthäus 2, 357–8: die Abstufung sei bereits durch Q vorgegeben gewesen. Doch das ist unwahrscheinlich.

39 Vgl. E. Schweizer, Evangelium, 307: ‘eine Weiterentwicklung im Gedanken an die vielerlei Gaben Gottes’.

40 Ähnlich sieht H. Frankemölle, Jahwebund, 272, das Fehlen ‘ekklesiologische(r) Be-griffe des Erwähltseins’ nicht als Indizien ‘gegen eine entwickelte und ausdrückliche Ekklesiologie’, sondern als Ausdruck einer Ekklesiologie, deren spezifisches Profil darin besteht, daβ sie ‘die Spannung von Kirche und Basileia aufrecht erhält’.

41 Matthäus bewirkt diese Neuinterpretation durch die Einfügung von V. 12, einem ur-sprünglichen urchristlichen Wanderlogion (vgl. Mt 25.29), das hier zum Ausdruck bringt: die Jünger ‘haben’ jetzt schon das ‘Verstehen der Geheimnisse der basileia’ (V. 11).

42 Luz, U., Matthäus 2, 291380.Google Scholar

43 Das ergibt sich unter anderem auch daraus, daβ sich für Matthäus die Situation der Verkündigung Jesu, die in die Bilder vom Senfkorn und Sauerteig gefaβt ist, in der nachösterlichen Kirche fortsetzt, insofern diese die Gemeinschaft der Jünger um den im Wort gegenwärtigen Jesus ist. Die traditionelle ekklesiologische Deutung, die die Kirche mit dem groβen Ende identifizierte, steht dazu in einem denkbar schroffen Kontrast.