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Flüchtling sein ist kein Verdienst. Wie fremd Brecht uns geworden ist

Published online by Cambridge University Press:  14 June 2023

Markus Wessendorf
Affiliation:
University of Hawaii, Manoa
Günther Heeg
Affiliation:
Universität Leipzig
Micha Braun
Affiliation:
Universität Leipzig
Vera Stegmann
Affiliation:
Lehigh University, Pennsylvania
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Summary

I. Migrant, vielmehr proletarisiert

“Sie planen Verwüstungen von riesigem Ausmaß…. Mich haben sie auch proletarisiert. Sie haben mir nicht nur mein Haus, meinen Fischteich und meinen Wagen abgenommen, sie haben mir meine Bühne und mein Publikum auch geraubt.” Das sagt Bertolt Brecht in einem 1938 in Svendborg von Walter Benjamin notierten Gespräch. Brecht beklagt hier, was im Grunde die zentrale Erfahrung des Flüchtlings ausmacht, die Ausstoßung aus einem Raum, in dem man sich orientieren und in den man eingreifen kann. Wo er von “Verwüstungen von riesigem Ausmaß” spricht, legt Brecht aber den Finger in eine Wunde, die viel breiter und gefährlicher ist, und die nicht nur Flüchtlinge betrifft. Dabei handelt es sich nicht einfach um den schmerzhaften Verlust eines vorigen, mehr oder weniger gemütlichen Zustands, in dem man hoffentlich wenigstens über das Mindeste verfügte. Es geht eher um die unverkennbare Offenlegung eines gesellschaftlichen Zustands, den Brecht im Grunde schon vor dem Exil aufgespürt hatte.

In anderen Gesprächen mit Benjamin präzisieren sich Ausmaß und Tiefe dieser Wunde. Brecht gesteht einmal, eine “sonderbare Unschlüssigkeit” stehe ihm bei “der Bestimmung seiner Pläne im Wege.” Er fühle sich nicht wie andere Emigranten in der Lage, sein Schaffen von nun an auf der Emigration aufzubauen. “Was zunächst dieser Unschlüssigkeit zu Grunde liegt, sind—wie er selbst hervorhebt—die Vorteile, die seine persönliche Lage vor der der meisten Emigranten auszeichnen.” Brecht weiß, er ist ein Privilegierter, er hatte immer Geld, selbst in den schwierigsten Zeiten. “Wenn er somit im Allgemeinen die Emigration als Grundlage von Unternehmungen und Plänen kaum anerkennt, so fällt die Beziehung auf sie für ihn selbst umso unwiderruflicher fort.” Von seinem Flüchtlingszustand kann Brecht nicht ausgehen, und das will er aber auch nicht. In einem früheren Gespräch mit Benjamin war die Rede auf einen anderen aktuellen Zustand gekommen, in dem er sich hingegen, wenigstens an einer Stelle, völlig wiedererkennen konnte, nämlich jenen einzigen Punkt, wo auch der “großbürgerliche Schriftsteller, zu dem er sich selber zuzählt …. als Produzent, proletarisiert [ist], und zwar restlos,”

Type
Chapter
Information
Publisher: Boydell & Brewer
Print publication year: 2021

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