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„Der hinkende Vogel verfremdet den Flug“ — Heiner Müllers „Philoktet“ im Kontext der Disability Studies

Published online by Cambridge University Press:  02 March 2023

Eleoma Joshua
Affiliation:
University of Edinburgh
Michael Schillmeier
Affiliation:
Ludwig-Maximilians-Universität München
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Summary

DIESER BEITRAG MÖCHTE anhand eines dramatischen Textes von Heiner Müller und seiner Inszenierung aufzeigen, wie problematisch die Definition von „Behinderung“ im Sinne des sozialen (oder gar des medizinischen) Modelles ist, und die Suche nach anderen Dimensionen (und damit Definitionen) von Behinderung im Sinne der Disability Studies unterstützen.

Heiner Müllers Text „Philoktet“ wurde erstmals 1965 veröffentlicht und wird bis heute sehr unterschiedlich ausgelegt, beispielsweise als Antikriegsstück oder als Parabel auf tragische Konflikte innerhalb kommunistischer Systeme.

Relevante Vorgeschichte sowohl für den griechischen Mythos „Philoktet“, den Sophokles verfasste, als auch für Heiner Müllers Text, ist, dass Philoktet einst von seinem Freund Herakles dessen Bogen und Pfeile erbte, die ihr Ziel unfehlbar treffen. Doch als Philoktet, ausgestattet mit den unfehlbar treffenden Pfeilen auf der Hinfahrt des Hellenenheeres nach Troja auf der Insel Chryse von einer Schlange gebissen wurde, begann sein Fuß zu eitern und ihm starke Schmerzen zu bereiten. Da das Heer den verwundeten Philoktet nicht ertragen konnte, wurde er auf der Insel Lemnos ausgesetzt. Dort fristet Philoktet sein Dasein, bis er für die Eroberung Trojas benötigt wird. So entsendet man Odysseus, der mit Hilfe von Neoptolemos den Heros zurückbringen soll.

Um zu verhindern, dass das Stück zu einseitig als antike Tragödie bzw. Antikriegsstück gedeutet wird, stellte Müller einen Prolog voran, in dem der Philoktetdarsteller in einer Clownsmaske auftritt. Der Clown spricht:

Damen und Herren, aus der heutigen Zeit

Führt unser Spiel in die Vergangenheit

Als noch der Mensch des Menschen Todfeind war

Das Schlachten gewöhnlich, das Leben eine Gefahr

Und daß wirs gleich gestehn: es ist fatal

Was wir hier zeigen, hat keine Moral

Fürs Leben können Sie bei uns nichts lernen.

Wer passen will, der kann sich jetzt entfernen.

Saaltüren fliegen auf.

Sie sind gewarnt.

Saaltüren zu. Der Clown demaskiert sich: sein Kopf ist ein

Totenkopf.

Sie haben nichts zu lachen.

Bei dem, was wir jetzt miteinander machen. („Philoktet“, 291)

In Müllers Dramatik werden immer wieder unvereinbare Widersprüche thematisiert, stets scheint es, als könnte alles Gesagte durch einen Sprecherwechsel bei gleichem Text oder auch nur durch ein merkwürdiges „Ausgleiten“ in der Intonation des Sprechers ins Gegenteil umschlagen, so wie sich in diesem Prolog die Figur vom Clown zum Tod verwandelt, was dem Text im Nachhinein, im Nachhören eine zweite bzw. neue Bedeutungsebene gibt.

Type
Chapter
Information
Edinburgh German Yearbook 4
Disability in German Literature, Film, and Theater
, pp. 175 - 196
Publisher: Boydell & Brewer
Print publication year: 2010

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