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Anmerkungen zur Dichtung von Léon-Paul Fargue

Published online by Cambridge University Press:  02 December 2020

Walter Naumann*
Affiliation:
McPherson College, Kansas

Extract

Der französische Dichter Léon-Paul Fargue (geboren 1878) sagt in einer Unterredung mit Frédéric Lefèvre, daβ er beim Wiederlesen seiner Prosagedichte und bei der Prüfung, welche Aenderungen er jetzt, nach vielen Jahren, vornehmen würde, immer auf die alte Fassung zurückgekommen sei als die beste, um das auszudrücken, was er beschreiben wollte. Diese Aeusserung erstaunt den Leser, der bei der ersten Lektüre Fargue's vieles Bizarre, ja Willkürliche festzustellen meint. Wenn er sich aber nach wiederholter Lektüre ein Verständnis des Dichters verschafft hat, erscheinen ihm seine Gedichte nicht mehr als unbegründet phantastisch, sondern als notwendig. Diese Notwendigkeit, die einen gewiβen sicheren Glanz ausstrahlt,—“splendor veri” sagen die Platoniker—ist die Form des Geschriebenen. Die wirkliche Form, wollen wir sie einmal “innere” Form nennen, hat nichts mit der “äusseren” Form zu tun, die die Sitte verlangt. Ein Sonett, eine Ode kann absolut formlos, mit Leere aufgepumpt sein, während ein Fragment, ja ein Satz vollkommen geformt sein, in sich selbst, ja für sich selbst bestehen können. Ein geformtes Geschriebenes ist erreicht, wenn die Wort-Materie und die Vision des Autors sich absolut decken, wenn die Materie durch und durch verwandelt ist vom Geist, so daβ sich das Geformte vom Autor vollkommen ablöst, in sich selbst ruht, und ein eigenes Leben mit eigener Wirkung beginnt. Aus dieser Ansicht geht hervor, daβ ein Fragment oder ein Prosagedicht ebenso gut eine gültige Form erreichen kann wie ein Sonett oder eine Ode. Ja, den Möglichkeiten der Form des Geschriebenen (und alle geformte Sprache pflegen wir Dichtung zu nennen) ist keine Grenze gesetzt—wobei der durch die Erfahrung bedingte Wert der Konvention ein anderes Kapitel bildet.

Type
Research Article
Information
PMLA , Volume 58 , Issue 1 , March 1943 , pp. 289 - 308
Copyright
Copyright © Modern Language Association of America, 1943

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References

1 Frédéric Lefèvre, Une heure avec …, vme série, 264 ff.

2 Vergleiche hierzu und zu dem ganzen ersten Paragraphen: Jacques Maritain, Art et Scolastique (Paris: Louis Rouart et Fils, 1927).

3 Vergleiche G. A. Borgese, On Dante Criticism (Harvard University Press, 1936).

4 Rauhut hat die Geschichte des französischen Prosagedichts—ohne These, er wollte “nur die empirische Form” behandeln—bis 1900 dargestellt: Franz Rauhut, Das französische Prosagedicht (Hamburg, 1929).

5 Die in Buchform erschienenen Werke von Léon-Paul Fargue sind zitiert:

  • Poèmes, suivis de Pour la Musique (Paris: Gallimard, 1919)

  • Espaces (Epaisseurs—Vullurne) (Gallimard, 1929)

  • D'Après Paris (Gallimard, 1932)

  • Sous la Lampe (Suite familière-Banalité) (Gallimard, 1937)

  • Le Piéton de Paris (Gallimard, 1939)

6 Vergleiche dazu: “Suite Familière” in Sous la Lampe, und die Bemerkungen in der Einleitung zu Le Piéton de Paris.

7 Vergleiche das Kapitel “Le Musée des Mondes Perdues” in Le Piéton de Paris.

8 Vergleiche zum Beispiel “Trouvé dans des papiers de famille” in Sous la Lampe.

9 In der gleichen, blasphemischen, Richtung (vergleiche wieder James Joyce) müβen verstanden werden (Espaces, 74): passage Dieu; oder: rue des Envierges.

10 An diesen Aspekt der Poesie Fargue's denkt S. A. Rhodes, “The poetry of L. P. Fargue,” French Review, ix (1935), 136, wenn er schreibt: “Poetry becomes in his hands an instrument of redemption, a lyre with which to play an accompaniment to the passionate pilgrimage of the poet in the universe. It serves, in the twentieth century, for the few who can be atuned to it, as a rallying-cry through its confusion, as an angelus to their souls homeward bound.”

11 Dies verdeutlicht den Unterschied zwischen Fargue und Rilke, der, in der gleichen Lage der Verlorenheit, doch von seiner Dichtung, und von der Teilnahme am Auβer-Ich, zu der ihn die dichterische Absicht führt, den Befehl erhält: “Du muβt Dein Leben ändern” (Archaischer Torso).

12 Der formalen Auflösung des Prosagedichts, von Lautréamont herkommend, und bei den Surrealisten endend, steht eine zusammenfaβende Ordnungslinie entgegen, die einzelne Gedichte in ein Ganzes einfügt, das eine Lehenslinie, eine “biographie imaginée,” und zugleich “idéelle,” darstellt. Man denke an Rimbaud, Saison en enfer. Von Fargue gehören besonders Vulturne, Mirages hierher, die aus einzelnen Teilen ein Geschehen darstellen, das alle Bestrebungen des Dichters zusammenfaβt. Hierher gehört auch Perse, Anabase, die oben angeführten Stücke Larbaud's, und manches Neuere: die psychoanalytischen Porträts von Henri Michaud (“Portrait d'homme,” in Mesures, avril 1935; “Le fils du Macrocéphale (Portrait),” in Commerce, Hiver 1929); die Orpheus-Geschichte (Pierre Emmanuel: “Le Poête aux Enfers,” in Mesures, octobre 38) und andere.

13 “Tan callando,” in Aux couleurs de Rome, 200.