Published online by Cambridge University Press: 02 December 2020
Dass die Metapher recht eigentlich das Wesen der Poesie, deren Urzelle, die kleinste Einheit des dichterischen Schaffens darstelle, ist eine Verallgemeinerung und Hyperbel, die man oft wiederholt findet in der Literatur über Stilistik und Metaphorik. So sagt etwa Gottschall: das Bild ist nur die Abbreviatur dessen, was die Dichtung im Ganzen und Grossen ist (nämlich: Versinnlichung des Geistigen und Vergeistigung des Sinnlichen). So meint auch Hugo von Hofmannsthal: Die Handlungen, die Gestalten sind nichts anderes, wofern man das Wort nur recht versteht, als Gleichnisse aus vielen Gleichnissen zusammengesetzt. Und so nennt denn auch Hermann Pongs, der in seinem tiefgründigen Werke die Metaphernkunde auf eine neue Grundlage stellt, das dichterische Bild die originäre dichterische Einheit, das Urphänomen des .
1 Poetik (Breslau, 1882), S. 153.
2 Blätter für die Kunst, 4. Folge.
3 Das Bild in der Dichtung, (Marburg, 1927), i, Band, S. 453 u. Vorw. S. 6.
4 Fr. Brinkmann, Die Metaphern, i. Band: Die Tierbilder der Sprache (Bonn, 1878), S. 54–55.
5 W. Stählin, Zur Psychologie und Statistik der Metaphern (Würzburger Diss., 1913).
6 Stählin, a.a.O.
7 O. Sterzinger, “Über die Gründe des Gefallens und Missfallens am poetischen Bilde,” Archiv für ges. Psychologie, xxix (1913).
8 H. Henning, “Das Erlebnis beim dichterischen Gleichnis,” Zs. für Ästhetik (1919), S. 317 ff.
9 Pongs, a.a.O., S. 149, 453–154. Wenn übrigens Pongs dabei von einer “unabhängigen dritten Vorstellung” spricht und diese Schöpfung als “Urbild” bezeichnet, so scheint er darin etwas zu weit zu gehen, indem die neue Vorstellung an das gegebene Wort der Sprache und dessen Vorstellung gebunden ist, wenn sie noch verstanden werden soll.
10 Von dem wunderbaren Talisman und Zauberinstrument, welches so viele Märchengestalten führen, soll in dieser Untersuchung abgesehen werden; nur solche Gestalten werden besprochen, bei denen die Magie tatsächlich in das innere Wesen der Gestalt eingeht.
11 Eine vierte, sehr seltene Spielart—ich kenne nur das Märchen von Atlantis im dritten Kapitel des Ofterdingen—enthält überhaupt keine eigentliche Wundergestalt, es stellt nur die natürlichen Menschen so dar, dass wir gezwungen sind, in ihnen mehr zu sehen als nur Menschen, d.h.: eine allegorische Bedeutung.
12 Volksmärchen der Deutschen, hrsg. von Paul Zaunert, (Jena, 1919), ii, 261 ff.—Natürlich sind die Vergleiche nicht ganz so dicht gesät, wo Musäus ins Erzählen kommt, doch sind sie auch dann noch verhältnismässig häufig. Stichprobe: die ersten hundert Sätze dieses Märchens enthalten 67 Metaphern und Gleichnisse; das entgegengesetzte Extrem findet sich bei Goethe (Märchen) und Novalis (Klingsohrs Märchen) mit je 14 Bildern auf hundert Sätze; dazwischen stehen Tieck (Runenberg), 24; Hoffmann (Goldener Topf), 30; Brentano (Gockel), 41.
13 Vgl. Pongs über das momentane oder dinghaltige Gleichnis, Das Bild in der Dichtung, i, S. 171 ff.
14 Seitenzahlen nach der angeführten Ausgabe von Zaunert.
15 Vgl. Hoops' Reallexikon d. germ. Altertumskunde, Mogks Artikel über Schwanen-jungfrauen.
16 Vgl. unten, S. 84 unten.
17 Auch ausserhalb der beiden Schwanenjungfern sind Bilder aus der Schwanensphäre selten; ich finde nur eines, welches sich allerdings auf eine andere Schwanen jungfer bezieht: Friedbert sagt seiner Geliebten, dass Schwanhilde unter den Fittichen der Liebe die Werkzeuge zum Fluge leicht entbehrt hätte.
18 Wenn Friedbert seine Lampe anzündet, den Nachtvogel herbeizulocken (293), so wird man dabei kaum an einen Schwan denken. An Gelegenheiten, den Schwan im Gleichnis zu verwenden, fehlt es übrigens nicht: so etwa statt Lilienhände (294), lederfarbene Bleichsucht (279); schreckte gleich einem Reh (318); die Liebe gattet Gleiches mit Gleichem, nicht Dohlen mit dem Adlergeschlecht oder Eulen mit dem Straussen (320). Auch vermisst man manches aus der Bildertradition des Schwans, welches hätte verwendet werden können, wie etwa den Schwanengesang und den Schwanenhals, oder die prophetische Gabe des Schwanens.—Etwas weiter geht die Verschmelzung in der Nymphe des Brunnens, deren wässeriges Wesen der Dichter bei mehreren Gelegenheiten wirksam durchscheinen lässt: in ihrem Gewand von wasserblauer Seide, einem durchsichtigen, nassen Schleier, der in dünnen Wolken schwebt (ii, 387–388); das von ihr geschenkte Kleid quillt hervor, dehnt sich, breitet sich, rauscht wie ein Wasserstrom (404); sie erscheint in Form eines dichten Nebels, … u.s.w.
So trinkt auch Ufo, der Delphin, in der Chronika der drei Schwestern nur Wasser und wird deshalb der Wasserritter genannt (ii, 79–80), zahlt für seine Braut mit Perlen vom Grunde der See und lebt auf einer Insel, wo Gebäude, Lustgärten, Marktplätze, alles auf dem Wasser zu schwimmen scheint, Dagegen zeigt sein Bruder Edgar, der Aar, keine Adlerqualitäten, wenn er als Mensch auftritt, und auch Albert, der Bär, legt alle Eigenschaften eines Bären ab (89), ja, seine Empfindungsweise steht dann ganz im Gegensatz zu seiner Bärennatur; er ist besorgt, er würde, wenn er sich wieder in einen Bären verwandle, dem tierischen Instinkt nicht widerstehen können und müsste seinen Schwager fressen.—Dagegen lassen die drei, und besonders der Bär, in ihrer tierischen Gestalt immer wieder das menschliche Wesen durchscheinen: Der veramorte Bär brummt und murmelt vernehmliche Worte, wirbt um ein Mädchen, reicht die Tatze zum Einschlagen und wird zum zottigen Eidam des Grafen. Er spioniert mit seinem Dickkopf (88-89) um das seidene Bett seiner Gemahlin; der Herr Gemahl, das grämliche Vieh, hat seine Bärenlaune, schnarcht wie ein Bär, steht trotz seines Bärentums unter dem Pantoffel, und kann's als empfindsamer Bär nicht aushalten, die Jammerszene seiner Frau mit anzusehen, er muss hinaus unter Gottes freien Himmel, den Schmerz und den Unwillen über sein hartes Schicksal auszukeuchen.—Es bleibt eine einseitige Verschmelzung: man sieht das Menschliche in dem Bären, nie das Umgekehrte; wie denn der Dichter nach seiner Art das ganze Wunder ins Humoristische hinüberspielt mit seiner Erklärung, dass überhaupt zu wissen sei, dass ein Bär, der wie ein Mensch vernünftig reden und handeln könne, niemals ein natürlicher, sondern ein bezauberter Bär sei (67).
Musäus bemüht sich überhaupt immer wieder, das Wunderbare in seinen Märchenstoffen zu verringern: Prinz Waidewut leugnet im Dämon Amor einfach, dass er ein Zauberer sei, und die Zauberin, die Ulrich mit dem Bühel von seinem Höcker befreit, wird zu einer Signora Dottorena umgestaltet; auch der ungestüme Raubritter in Stumme Liebe dürfte wohl auf einen übernatürlichen Dämon zurückgehen, u.s.w.
19 Weimarer Ausgabe, xviii, 224.20.
20 Camilla Lucerna, Studien zu Goethes Rätseldichtung “Das Märchen” (Zagreb, 1932), S. 16.
21 Das Märchen (Leipzig, 1910).
22 Vgl. Sanders' und Grimms Wörterbücher.
23 Urfaust 348, Faust 1917.
24 Faust, 3855 ff.
25 Faust 4375. Es sind wohl die Irrlichter des Märchens, die hier im Walpur nachtstraum gemeint sind; Galanterie scheint sonst, nach den Belegen in Grimms und Sanders' Wörterbüchern zu urteilen, nicht zu den Irrlichtern zu gehören, auch bei Goethe nicht.
26 Seiten- und Zeilenzahlen nach Bd. 18 der Weimarer Ausgabe.
27 Über die Nützlichkeit der Höflinge sind zu vergleichen Wilhelm Meisters Bemerkungen über Rosenkranz und Güldenstern: Wilhelm besteht darauf, es müssen zwei sein. V. Buch, 5. Kapitel, W.A. 22, 2, S. 165.
28 Man hat sie deshalb mit dem Prägstock und dem Lötrohr verglichen, Camilla Lucerna, Das Märchen, S. 153, 155; man könnte auch an das Kind im Volksmärchen erinnern, dem Goldstücke aus dem Munde fallen, so oft es ein Wort spricht, Grimms Märchen, Nr. 13. von der Leyens Ausgabe, Bd. i, S. 231 ff.
29 Nur die Irrlichter nennen sie einmal Frau Muhme (229.3), einmal wird sie vom Erzähler unter dem Ausdruck unsere drei Wanderer mit einbeschlossen (245.16).
30 Verleiht ihr Goethe also eine liebenswürdige Schwäche, so vermeidet er, wie im Charakter der Irrlichter die Tücke und Irreführung der traditionellen Metaphorik, so bei der Schlange die Falschheit, Bosheit, den Hass, Neid, Undank, und was ihr sonst Übles zugeschrieben wird, und schlägt sich zu der freundlicheren Haltung, die Riegler im Volksmärchen findet. Riegler, Das Tier im Leben der Sprache, (1907), S. 193–204.
31 Die Deutung Lucernas (Das Märchen, S. 142), das vierte Geheimnis sei die Kraft der Liebe, scheint mir nicht haltbar, da die Schlange die Liebe nicht erfährt; diese Erkenntnis verbleibt dem Prinzen. Auch wüsste der Alte dieses Geheimnis, wenn es eines wäre, da er des Prinzen Auffassung berichtigt (sie herrscht nicht, sie bildet); eher wäre die Liebe das “offenbare” Geheimnis, da sie allgemein bekannt. Die Metamorphose der Schlange aber ist tatsächlich ein Geheimnis, von dem niemand etwas weiss. Den Irrlichtern und Königen, die sie zum ersten Mal gesehen, hat sie nichts davon gesagt, und der Alte kann bei dem Schein seiner Lampe ihr Leuchten nicht sehen.
Lucernas neuere Interpretation, die mir soeben zu Händen kommt (Studien zu Goethes Rätseldichtung, Zagreb, 1932), verbindet nun “Idee und Liebe” als das Geheimnis der Schlange, “Idee” im Sinne von “Idee des Werdens,” welche der Mann mit der Lampe kenne.—Vielmehr ersieht man aus dem Text (Sobald ich das vierte weiss!), dass er es noch nicht kennt, sondern eben hier kennen lernt. Liebe und Idee, das offenbare und das vierte Geheimnis, sind also doch wohl zu trennen.
32 Eine ähnliche Verwandlung bei konstanter Farbe hatte Musäus in dem Rosenwunder der heiligen Elisabeth: aus den Semmeln waren weisse, aus den Schlackwürsten purpurfarbene und aus den Eierkuchen waren gelbe Rosen geworden. Zaunerts Ausgabe, i, 255.
33 Theod. Friedrich, Goethes Märchen, Reklams Universalbibl., S. 182 ff.
34 Lucerna, a.a.O., S. 122.
35 Nur drei Ausnahmen: Warum kommst du, da wir Licht haben? (234.20) und die oben zitierte Rede des silbernen Königs zu den Irrlichtern.
36 Wieland dichtet allerdings ein kleines allegorisches Märchen, “Der Vogelsang.”
37 Zitiert bei Rudolf Reitzenstein, Das Märchen von Amor und Psyche bei Apuleius, S. 3.
38 Brief an C. E. Schubarth vom 21. IV. 1819, W. A., IV, 31, 163.16.