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Passio Als Leidenschaft

Published online by Cambridge University Press:  02 December 2020

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In seinem Vortrag über “Passion” und “Gefühl” (Arch. Rom.,xxii, 320 ff.) hat E. Lerch versucht die vielfältig geschichtete Bedeutungsentwicklung von passio im Ganzen darzustellen. Das Bild, das er entwirft, ist das Folgende.

Type
Research Article
Information
PMLA , Volume 56 , Issue 4 , December 1941 , pp. 1179 - 1196
Copyright
Copyright © Modern Language Association of America, 1941

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References

1 Vgl. Liddell-Scott, A Greek-English Lexicon, A New Edition, by Henry Stuart Jones (Oxford). Ferner die Spezialwörterbücher, besonders den Aristotelesindex von Bonitz.

2 Thukydides hat vi, 59, 1 . Vgl. Bultmann im Theol. Wörterb. zum NT. ad v. , wo zur -frage parallele Probleme behandelt werden.

3 Lehrreich in diesem Zusammenhang ist eine Stelle bei Boethius, De Cons. Phil., 5, 4: Praecedit (nämlich der erkennenden Tätigkeit des Geistes) tarnen excitans / Ac vires animi movens / Vivo in corpore passio. Es handelt sich hier nicht eigentlich um Psychologie, sondern um Erkenntnistheorie, und passio bedeutet “sinnliche Wahrnehmung.” Aber sie ist excitans und movens. Der Abschnitt enthält eine polemische Verteidigung der aristotelischen Lehre von der spontanen Erkenntniskraft der Seele gegenüber der stoischen Theorie, daβ sie nur empfangend sei (Theorie der unbeschriebenen Tafel, auf der die Sinneseindrücke wie ein schreibender Griffel ihre Eintragungen bewirken).—Ein Beispiel der Weiterbildung des oben angedeuteten aristotelischen Verhältnisses des Wirkenden zum Leidenden findet sich in Dantes Convivio, iii, 10 zu Anfang: Dov'è da sapere usw. Vgl. dazu die Erklärung in der Ausgabe von Busnelli und Vandelli (Firenze, 1934), i, 376. Aber es klingen hier bei Dante auch wohl stoische, vielleicht sogar schon mystische Motive mit.

4 De nupliis et concupisc., 2, 33, nisi ist nicht sicher überliefert, doch verlangt es der Sinn.

5 Schon in der Vulgata Römer, 1, 26; Röm., 7, 5; Thess., 1, 4, 5; ferner Z. B. Cassian, De Coen, inst., v, 2; Coll., v, 19 u. 20; ein provenzalischer Text übersetzt das Wort peccala des Liber scintillarum mit passios; vgl. Bartsch, Chrestomathie provençale, 6e éd., p. 258 und PL, 88, 600.

5a L. Spitzer macht mich auf folgende Stelle aus Malebranche, Entretiens xi, §xiv aufmerksam: “Je crois de plus que Dieu a figuré, même par les dispositions du corps, celles de l'âme sainte de Jésus, et principalement l'excès de son amour pour son Eglise; car saint Paul (Eph. 5, v. 25–33) nous apprend que cette passion violente de l'amour, qui fait qu'on quitte avec joie son père et sa mère pour sa femme, est une figure de l'excès de l'amour de Jésus-Christ pour son épouse….”

6 Vor seiner Menschwerdung war Jesus impassibilis. Darüber Bernhard v. Clairvaux (Tract. de grad. humil., iii, 9, PL, 182, 946): Beatus quippe Deus, beatus Dei filius, in ea forma qua non rapinam arbitratus est esse se aequalem Patri, procul dubio impassibilis, priusquam se exinanisset formam servi accipiens (Phil., 2, 6–7), sicut miseriam vel subjectionem expertus non erat, sie misericordiam et obedientiam non noverat experimento. Sciebat quidem per naturam, non autem sciebat per experientiam. At ubi minoratus est non solum a se ipso, sed etiam paulo minus ab angelis, qui et ipsi impassibiles sunt per gratiam, non per naturam, usque ad illam formam, in qua pati et subjici posset … Nach der Auferstehung ist er wiederum impassibilis, vgl. Bonaventura, Breviloquium, iv, 10 (Opera omnia cura et studio A. C. Peltier, Aug. Taur., vii, 294): Christi corpus … primo fuerat passibile et mortale, postea autem impassibile et immortale.—Für die impassibilitas Gottes vgl. Isidor., vii, 1, 24, besprochen von Spitzer in seiner inhaltsreichen Notiz Romania, lxv, 123 f.—Passibilis in dieser Bedeutung wird gelegentlich auch durch sensibilis wiedergegeben, beides erscheint fast synonym im Stimulus Amoris (ob. gen. Bonaventuraausgabe, xii) p. 636–637. Vgl. Roman d'Eneas, 2883: Sire … ge voil saveir, se ce puet estre … veir que cil … aient forme corporel, passible seient et mortel. Dagegen Dante, Inf., 2, 15 sensibilmente.

7 Eine passio freilich nicht, denn Gott ist, s. o., impassibilis. Ein Liebesdialog der Renaissance, Il Raverta di G. Belussi, in den Trattati d'amore del Cinquecento, ed. Zonta (Bari, 1912) erklärt, a.a.O. S. 39: … quello affetto suo volontario non è suggetto a passione, come il nostro, non essendo in lui difetto d'alcuna cosa. Zum Problem s. Thomas Aq., S. Th. Ia., xx, 1.

8 Vgl. Eckhart, Predigt cvii, hsg. v. Pfeifer, 3. Aufl. (Göttingen, 1914), S. 353: Ez wundert vil menschen, wie die lieben heiligen in sô grôzer süezikeit sô grôz lîden getragen haben. Wer des wunders wil ledic werden, der erfülle daz die heiligen mit grôzem fiîze erfüllet hânt linde hânt Jêsû Kristô mit inhitziger minne nâch gevolget.

9 Gilbert von Hoyland, PL, 184, 21, zu Cant., 3, 1.

10 Für die Tradition vgl. etwa Beda in Cant. Cant, alleg. expos., 2, 4; PL, 91, 1097.

11 Lerch zitiert als besonders wirksames Beispiel für das Umschlagen des Inhalts passio zum Aktiven in neuerer Zeit einige Texte des 18. Jhdts. (Bonnet, Wieland, Choderlos de Laclos), die von “tätigen Leidenschaften,” passions actives, sprechen. In den Liaisons dangereuses empfiehlt Valmont die passions actives als einzigen Weg zum Glück. Allein schon Bernhard v. Cl. sagt in einer Passionspredigt (In Feria quarta Hebdomadae Sanctae, 11, PL, 183, 268) von Jesus: Et in vita passivam habuit actionem, et in morte passionem activam sustinuit, dum salutem operaretur in medio terrae.

12 Im Ottimo Commento finde ich zu Par., 11, 118 im Rahmen einer Lebensbeschreibung des heil. Franz folgenden Satz: Da quella ora (seit Christus selbst in San Damiano ihm erschienen war) innanzi l'anima sua fu tutta liquefatta, e la passione del Crucifisso nel suo cuore fu mirabilmente fitta.

13 Wer die Neigung zu antithetischen Paradoxien in der europäischen Liebespoesie von den Provenzalen über Petrarca bis zur Renaissance kennt (Typus: Pace non trovo, e non ho da far guerra), wird sich beim Lesen mittelalterlich-mystischer Texte kaum dem Eindruck entziehen können, dass die grossen Paradoxien der Passion den Nährboden geschaffen haben, auf dem jene Gebilde wachsen konnten. Der folgende Text ist zwar verhältnismässig spät (aus dem Stimulus Amoris, 2. H. 13. J., also etwa gleichzeitig mit dem Erwachen des Neuen Stils), aber schon seit dem Anfang des 12. J. finden sich ähnliche Motive: Si ergo, anima, carnem diligis, nullam carnem nisi carnem Christi ames. Haec enim pro tua et totius humani generis salute est super aram crucis oblata, cuius passionem in corde rumines quotidie. Huius enim passionis Christi meditatio continua mentem elevabit … O passio desiderabilis ! O mors admirabilisl quid mirabilius quam quo mors vivificet, vulnera sanent, sanguis album faciat, et mundet intima, nimius dolor nimium dulcorem inducat, apertio lateris cor cordi coniungat? Sed adjuc mirari non cesses, quia sol obscuratus plus solito illuminat, ignis extinctus magis inflammat, passio ignominiosa glorificat. Sed vere mirabile est, quod Christus in cruce sitiens inebriat, nudus existens virtutem vestimentis ornat, sed et eius manus ligno conclavatae nos solvunt, pedes confossi nos currere faciunt u.s.w. Das ist schon fast übermassig kunstvoll.

14 Dazu auch noch das 14. Kapitel des Horologium sapientiae von Suso (ich benutzte die Ausgabe von J. Strange, ed. nova, Coloniae, 1861). Zum Verständnis dieser Stelle ist zu beachten, dass die Rose ein Symbol der himmlischen Freude ist, vgl. M. Gorce O. P., Le Roman de la Rose, Paris, 1933, p. 29–36.—Sehr ausgebildet ist die Passionmystik auch bei den deutschen Mystikerinnen wie Mechtild v. Magdeburg und Margaretha Ebner.

15 Auch auf die Bedeutung von novo (die von den Ezechiel- und Paulusstellen abhängig ist) muss hier wie überhaupt bei Dante geachtet werden. Hierauf hat mich E. Eberwein aufmerksam gemacht.

16 Die katalanischen Stellen, die Spitzer (Romania, lvx, 124) zitiert, stehen mir nicht zur Verfügung.

17 Die Bedeutung “parteiische Vorliebe” wird später zur Brieffloskel. Guez de Balzac und Descartes schreiben am Schluss ihrer Briefe “que je suis passionnément” oder “avec une très ardente passion” “votre très humble” etc. Das entspricht unserer “vorzüglichen” Hochachtung oder der “Vorliebe,” mit der ein Geschäftsmann unseren Diensten gewidmet zu sein beteuert. Prinz Eugen schliesst 1724 einen Brief an Vico mit den Worten: e sono con parzialità, ecc.—Vico, L'Autobiografia ecc. (Bari, 1929), p. 180.

18 S. Lexique de la langue des Essais, im 5. Band der Edition municipale (Bordeaux, 1933).

19 Darmesteter-Hatzfeld, Morceauz choisis … du XVI e siècle, p. 315.

20 Ibid., p. 342 u. 349.

21 Ibid., p. 327

22 Z. B. Orlando inam., i, ii, 19 und i, xii, 49.

23 Z. B. in seiner Darstellung des Ursprungs der italienischen Liebesdichtung, bei d'Ancona e Bacci, Manuale della lett, ital., ii, 85 ss.

24 L'Heptaméron des nouvelles, passim.

25 Vgl. z.B. Montchrestien bei Darmesteter-Hatzfeld, p. 359 und Régnier, ibid., p. 291. Ferner nach Spitzer, 1. c, auch Mairet in der Sophonisbe.—In Grimmelshausen, Simpl. Simpl., 3, 19 findet sich der Satz: “… wann der Herr nicht Selbsten wüsste wie einem Buhler ums Herz ist, so hätte er dieses Weibes Passiones nicht so wohl ausführen oder vor Augen stellen können.”

26 Sobald aber bewusst theoretisiert wird, taucht sehr leicht die alte aristotelische Fachbezeichnung passion wieder für alle Gemütsbewegungen auf. Das ist nicht nur im 18. Jh. (vgl. die bei Lerch S. 334 aus der Encyclopédie und aus Rousseau angeführten Stellen), sondern auch zuweilen noch im 19. festzustellen.

27 Œuvres mêlées, Amsterdam, 1706, ii, 320. Vgl. auch i, 65 und passim.

28 Pensées et opuscules, éd. Brunschwieg, p. 123 (Discours sur les passions de l'amour). Man beachte, dass zu den pensées hier alle inneren Vorgänge ausser den Leidenschaften gehören, auch die sentiments; vgl. die Anmerkung Brunschvicgs.

29 Maximes et réflexiones sur la comédie, iv.

30 “Racine und die Leidenschaften,” GRM, 1926; Das französische Publikum des 17. Jahrhunderts (München, 1933), S. 47 ff.