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Tod eines Genossen. Erinnerung und Intervention in George Taboris Nathans Tod

from New Brecht Research

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Summary

Jedes Leben hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.

George Tabori

Als der Dramatiker und Regisseur George Tabori im November 1991 am Lessingtheater in Wolfenbüttel sein Stück Nathans Tod zur Aufführung bringt, eröffnet er die Vorstellung mit einem etwa zehnminütigen, stummen Vorspiel, das die Zuschauer auf diesen ganz anderen Nathan einstimmen soll. “Auf der Bühne,” so Werner Schulze Reimpell und Benjamin Henrichs in ihren Rezensionen, bewegten sich “lange vor Beginn Soldaten in Tarnanzügen wie Hunde, kommandiert von einer Peitsche.” “Zuerst hocken die Kerle erschöpft, schlafend, schnaufend auf ihren Stühlen, dann beginnen sie ein martialisches Training—rutschen und robben über den Boden, jagen einander und fauchen dabei wie menschliche Kampfhunde, wetzen sich lüstern an ihren Stühlen, zerschlagen sie schließlich zu Kleinholz, Brennholz.” “Als ein offenbar debiles jüdisches Mädchen kommt, das einen Leiterwagen mit sieben Puppen hinter sich herzieht, packen es die Soldaten. Der Vergewaltigungsversuch misslingt” jedoch, als der Anführer der Gruppe eingreift. Dennoch: “Jerusalem ist die Hölle.” An diesem Ort, “einer Stadt des Hasses und Todes,” herrscht Krieg zwischen den Religionen und den Geschlechtern, werden Menschen zum Töten abgerichtet, besteht Versöhnung, so die pessimistische Botschaft der Pantomime, kaum mehr als Möglichkeit. Als Nathan auf der Bühne erscheint, wird er zunächst seiner Brieftasche beraubt, dann darf er sprechen. “Er erzählt eine Geschichte,” heißt es lakonisch in den Regieanweisungen in einem Ton, der die Vergeblichkeit der Rede antizipiert.

Die Bühne, auf der die Handlung stattfindet, ist als Schachbrett ausgelegt. 64 Felder sind auf dem Boden aufgezeichnet, dahinter zwei Reihen Zypressen, ein Baum, der seit der Antike mit Trauer assoziiert wird. Als Fluchtfeld lässt die Bühnenbildnerin Marietta Eggmann das rohe Ziegelwerk der Brandmauer erkennen. Strategie und Spiel, Tod und Trauer, Judenverfolgung und Auschwitz, all dies ist auf dieser Bühne präsent, auf der das wortlose Vorspiel gleichsam als Gegenstück zu den stummen Umarmungen am Ende von Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise den Primat politischer Gewalt behauptet, die allen im Stück verhandelten Konflikten vorausgeht. In diesem Sinne evoziert die Szene auch jene traumatische Erfahrung, die den Verwicklungen in Lessings Original zugrunde liegt: die Ermordung von Nathans Frau und seinen sieben Söhnen, die, von Christen verfolgt, im Haus des Bruders “insgesamt verbrennen [mussten].” In Taboris Theater wird die Erinnerung an die Auslöschung von Nathans Familie, die bei Lessing erst im 4. Akt und dort eher zögerlich zur Sprache gebracht wird, zum historischen und begrifflichen Ausgangspunkt der Inszenierung.

Type
Chapter
Information
The Brecht Yearbook / Das Brecht-Jahrbuch 39
The Creative Spectator
, pp. 126 - 149
Publisher: Boydell & Brewer
Print publication year: 2016

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